EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein / Bayerns Justizminister Eisenreich kritisiert Entscheidung der EU-Kommission: „Das stellt die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Garant unseres Rechtsstaats und …
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich kritisiert das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Minister Eisenreich: „Dieser Vorgang stellt die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Garant unseres Rechtsstaats und unserer Verfassung in Frage. Das Grundgesetz steht nicht zur Disposition europäischer Institutionen. Bei allem Verständnis für die berechtigte Sorge der Kommission um eine Fragmentierung des Rechts in der EU, dieses Verfahren ist nicht der richtige Weg, um den Konflikt zwischen nationalem Verfassungsrecht und EU-Recht zu lösen.“
Unklar ist auch, welche Maßnahmen die Bundesregierung in dem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren überhaupt ergreifen kann. Denn es gilt der Grundsatz der Gewaltenteilung: Die Unabhängigkeit der Justiz verbietet jegliche Einflussnahme der Bundesregierung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesregierung kann das Bundesverfassungsgericht nicht verpflichten, die „ultra vires“-Kontrolle aufzugeben.
Hintergrund des Verfahrens ist ein Streit über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. Mai 2020 zum Staatsanleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank. Die Karlsruher Richter stellten in ihrem Urteil erstmals fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von den an sie übertragenen Kompetenzen gedeckt sind („ultra vires“). Die Europäische Kommission sieht in dem Urteil einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vorrangs des Europarechts. Aus diesem Grund leitete sie vergangene Woche (9. Juni) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein.
Eisenreich: „Im Kern geht es nicht um die Frage des Vorrangs des Unionsrechts, sondern um die Frage der Einhaltung der Kompetenzen. Der Vorrang des Unionsrechts kann nicht gelten, wenn die EU-Institutionen außerhalb der ihr übertragenen Kompetenzen handeln.“ Außerhalb der Kompetenzen gibt es keinen Vorrang des Unionsrechts.
Ob die Kompetenzen überschritten sind, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in letzter Konsequenz eine Frage des nationalen Verfassungsrechts und vom Bundesverfassungsgericht als Hüter des Grundgesetzes zu entscheiden.
Die Diskussion führt ein weiteres Problem ganz deutlich vor Augen: Es gibt aktuell kein geeignetes Mittel, um bei Kompetenz-Streitigkeiten eine Lösung herbeizuführen. Man sollte hier nach Lösungen suchen, die nicht auf Konfrontation, sondern auf einen Konsens zielen und so den Zusammenhalt in Europa stärken. Hier gibt es schon den Vorschlag, einen unabhängigen Kompetenzgerichtshof einzurichten. Dieser sollte dann angerufen werden können, wenn Zweifel bestehen, ob sich eine EU-Institution bei ihrer Entscheidung an ihre vertraglich eingeräumten Kompetenzen gehalten hat oder nicht. Eisenreich: „Der Kompetenzgerichtshof könnte auch für Fragen der Subsidiarität zuständig sein und im Streitfall klären, ob eine Sache durch die einzelnen Mitgliedstaaten oder zentral durch die EU geregelt werden darf. Diese grundlegenden Fragen zur Lösung von Kompetenzstreitigkeiten und der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips wären aus meiner Sicht auch ein wichtiges Thema für die Konferenz zur Zukunft Europas.“ Die konstituierende Plenarversammlung findet morgen (19. Juni) statt.
Eisenreich abschließend: „Unabhängig davon, auf welche Seite man sich in dieser komplexen Diskussion stellen möchte. Klar ist aus meiner Sicht: Eine Anrufung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren wäre der falsche Weg. Denn der EuGH darf nicht als Richter in eigener Sache entscheiden. Der EuGH war schon nach der Vorlage des Bundesverfassungsgerichts mit der Sache befasst und würde letztlich erneut entscheiden, ob die Kompetenzen eingehalten wurden. Das kann nicht richtig sein. Das Verfahren sollte deshalb im Dialog beendet werden.“
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