Holetschek fordert Stärkung der Antibiotikaproduktion in der EU – Bayerns Gesundheitsminister warnt vor schleichender Pandemie durch Antibiotikaresistenzen – Abhängigkeit von China senken
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat auch mit Blick auf gefährliche Antibiotikaresistenzen zu einer Stärkung der heimischen Arzneimittelproduktion in der EU aufgerufen und vor einer Abhängigkeit von China gewarnt. Holetschek sagte bei einer Podiumsdiskussion in Brüssel am Dienstagabend: „Infektionen mit resistenten Bakterien, die sich nicht mehr mit den gängigen Antibiotika behandeln lassen, sind eine schleichende Pandemie. Weltweit sterben jedes Jahr nach aktuellen Schätzungen rund 1,3 Millionen Menschen an Infektionen mit resistenten Keimen. Deshalb brauchen wir nicht nur eine Strategie in Bayern oder Deutschland, sondern wir müssen gemeinsam grenzüberschreitend und interdisziplinär gegen diese Gesundheitsbedrohung vorgehen. Mit unserem Bayerischen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen haben wir eine Strategie aufgelegt und gehen Projekte gemeinsam an.“
Holetschek hatte zusammen mit der Bundesärztekammer und der Bayerischen Landesärztekammer zu der Podiumsdiskussion in der Bayerischen Vertretung in Brüssel eingeladen. Bei der Veranstaltung unter dem Titel „Die schleichende Pandemie – Den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen jetzt voranbringen“ sprachen unter anderem auch Vertreter der Europäischen Kommission, der WHO und aus der medizinischen Praxis.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, sagte: „Wir brauchen neue, wirksame Antibiotika; und wir müssen sicherstellen, dass sie verfügbar sind, wo sie gebraucht werden – in Europa und darüber hinaus. Gleichzeitig muss die Wirksamkeit der bestehenden Mittel, so gut und solange es geht, erhalten bleiben. Hierzu müssen wir den Verbrauch von Antibiotika weiter reduzieren. Dafür müssen Gesundheitsversorgung für Mensch und Tier, Nutztierhaltung, Lebensmittelproduktion und Umweltschutz ineinandergreifen und eine kohärente Reduktionsstrategie verfolgen.“
Der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. Gerald Quitterer, ergänzte: „Zur Lösung des Problems der zunehmenden Antibiotikaresistenzen braucht es einen umfassenden ‚One Health‘-Ansatz, der über einzelne Maßnahmen im Gesundheitsbereich hinausgeht. Denn die Gesundheit von Mensch, Tier und Ökosystem ist eng miteinander verknüpft. Konkret heißt dies etwa: Im Agrarsektor müssen wir den Einsatz von Antibiotika weiter reduzieren. Denn noch immer werden in einigen europäischen Ländern in der Landwirtschaft mehr Antibiotika eingesetzt als in der Humanmedizin. Im Sinne von ‚One Health‘ darf auch nicht vergessen werden: Schwindende Lebensräume für Wildtiere, verursacht durch den Klimawandel, eine wachsende Bevölkerung, zunehmende Mobilität und industrielle Landwirtschaft, bedeuten generell eine stärkere Verbreitung von Zoonose-Erregern, welche zwischen Mensch und Tier übertragen werden können. Damit geht fast automatisch ein steigender Einsatz von Antiinfektiva einher. Eine global denkende, auf die Zukunft ausgerichtete Gesundheitspolitik muss deshalb der Bekämpfung des Klimawandels, der Erhaltung der natürlichen Habitate der Tierwelt sowie der Biodiversität höchste Priorität einräumen und eine Verbesserung der Haltungsbedingungen von Nutztieren anstreben.“
ABHÄNGIGKEIT VON CHINA REDUZIEREN
Für die weltweit zunehmenden Antibiotikaresistenzen gibt es mehrere Gründe. Dazu zählt der zu hohe und falsche Gebrauch der Mittel in der Tierhaltung und der Humanmedizin. Weitere Treiber sind eine zu langsame Entwicklung neuer Antibiotika und teilweise mangelhafte Standards bei der Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln in Drittstaaten, wodurch Wirkstoffe in die Umwelt und ins Abwasser gelangen können.
Holetschek erläuterte: „Wir brauchen mehr Innovation. Nach Angaben der WHO wurden in den vergangenen fünf Jahren nur zwölf neue Antibiotika weltweit zugelassen. Bei vielen neuen Medikamenten entwickeln Bakterien innerhalb von zwei bis drei Jahren schon Resistenzen. Deswegen brauchen wir mehr Dynamik in der Antibiotika-Forschung und sollten damit den Standort EU stärken.“
Der Minister ergänzte: „Den Standort EU stärken heißt auch, die Produktionsstandards stärken und damit Resistenzen vorbeugen. Denn wenn Antibiotika ins Abwasser gelangen, können die Erreger Abwehrmechanismen dagegen entwickeln. Wenn diese dann über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen, schlagen die Antibiotika nicht mehr an. Deswegen brauchen wir eine Produktion nach europäischen Sozial- und Umweltstandards. Ich rufe die EU auf, keine Importe mehr zuzulassen, wenn diese Standards bei der Produktion im Ausland nicht eingehalten werden, und gemeinsam mit den Mitgliedstaaten ein Programm aufzulegen, um die heimische Herstellung zu fördern.“
Holetschek fügte hinzu: „Mit einer Stärkung der heimischen Produktion würden wir auch etwas gegen unsere Importabhängigkeit tun. China ist für rund 40 Prozent der weitweiten Antibiotikaexporte verantwortlich. Grundsätzlich wird ein Großteil der versorgungsrelevanten Wirkstoffe für in Deutschland zugelassene Arzneimittel in China und Indien hergestellt. Eine der Lehren aus der Corona-Pandemie ist, dass wir solche Abhängigkeiten verringern müssen.“
BUNDESREGIERUNG DARF PHARMASTANDORT NICHT SCHWÄCHEN
Der Minister appellierte auch an die Bundesregierung, mehr für den Pharmastandort Deutschland zu tun. Er sagte: „Mit den bisherigen Plänen für die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schadet die Ampel-Koalition dem Arzneimittelstandort Deutschland nachhaltig. Die geplanten Änderungen beim Bewertungsverfahren für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sowie weitere Preisregulierungen erweisen uns einen Bärendienst. Die pharmazeutischen Unternehmen werden überproportional stark belastet. Ich erwarte, dass die Ampel-Koalition die Pharmabranche bei der weiteren Gestaltung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes an einen Runden Tisch holt und den Dialog sucht, wie wir das in Bayern schon lange mit unserem Pharmagipfel erfolgreich machen. Ich sehe dabei neben Bundesgesundheitsminister Lauterbach auch Bundeswirtschaftsminister Habeck in der Verantwortung, den Standort Deutschland zu stärken. Immer mehr Unternehmen machen deutlich, dass sie kein Vertrauen mehr in die politischen Rahmenbedingungen haben. Da müssen in Berlin doch alle Alarmglocken klingeln.“
Bayern hat bereits 2017 einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen beschlossen. Er bündelt die Kräfte aus den relevanten Bereichen, um gemeinsam in zentralen Handlungsfeldern wie Fortbildung, richtigen Hygiene- und Therapiemaßnahmen, Forschung und Monitoring gegen die Ausbreitung von Resistenzen vorzugehen. Eines dieser Projekte ist die Bayerische Antibiotika-Resistenzdatenbank „BARDa“ am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), die landesweit Daten aus Laboren zusammenführt. Die Kenntnis der regionalen Resistenzlage ermöglicht einen gezielten Antibiotikaeinsatz – eine der wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen Resistenzentwicklungen. Diesem Ziel dient auch ein gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten in der Bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft resistente Erreger (LARE) entwickelter, umfassender Leitfaden zur Antibiotika-Therapie.
Die aktuelle Auswertung der Bayerischen Antibiotika-Resistenzdatenbank BARDa findet sich auf der LGL-Website unter https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/barda/ue_2021.htm.
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