Kampf gegen Missbrauch von Kindern, Menschenhandel und Hate Speech / Bewältigung von Massenverfahren bei Gerichten / Alle Initiativen Bayerns bei der Frühjahrs-JuMiKo 2022 erfolgreich / Der bayerische Justizminister Eisenreich: „Erneut haben …
Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern, Menschenhandel und Hate Speech – neue Maßnahmen zur Entlastung der Gerichte bei Massenverfahren: Bei der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und -minister in Hohenschwangau (1./2. Juni) war der Freistaat mit allen Initiativen erfolgreich. Der Vorsitzende der 93. Justizministerkonferenz und bayerische Justizminister Georg Eisenreich: „Ich freue mich, dass erneut alle bayerischen Vorschläge eine Mehrheit gefunden haben.“
I. Pakt für den Rechtsstaat um Digitalpakt erweitern
Die Länder hatten sich im ursprünglichen Pakt für den Rechtsstaat (1.0) verpflichtet, im Justizbereich im Zeitraum 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021 insgesamt 2.000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte zu schaffen und zu besetzen. Der Bund beteiligte sich mit einmalig 220 Mio. Euro an der Umsetzung des Pakts für den Rechtsstaat. Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, den Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen und um einen Digitalpakt zu erweitern. Die Konferenz der Justizministerinnen und -minister 2022 appelliert nun an den Bund, den Worten zeitnah Taten folgen zu lassen. Der Minister: „Die hohen Kosten für die technische Ausstattung und den Betrieb tragen die Länder bislang allein. Viele der ständig wachsenden Anforderungen an die Justiz der Länder werden durch Gesetzgebung des Bundes verursacht. Daher muss sich der Bund an den Kosten auch angemessen beteiligen.“
II. Konsequenter Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch
Die Konferenz setzt sich auf Initiative Bayerns für die Prüfung eines neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch ein. Nach geltendem Recht können Personen, die durch ihr Tun oder – vor allem – Unterlassen sexuellen Missbrauch von Kindern fördern, nur in besonderen Konstellationen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Mit der von Bayern vorgeschlagenen Regelung könnte diese Schutzlücke geschlossen werden. Danach sollen Fürsorge- und Aufsichtspersonen in Kirchen, Vereinen oder anderen Institutionen bei groben Pflichtverletzungen in Fällen von Kindesmissbrauch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Anlass sind Fälle, in denen Geistliche nach Bekanntwerden ihrer Missbrauchstaten weiter in der Seelsorge eingesetzt wurden. Eisenreich: „Wer die Aufsichtspflicht in Fällen von Kindesmissbrauch grob verletzt und dadurch eine fremde Missbrauchstat fördert, der muss nach dem Willen Bayerns mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Es geht hier um den Schutz unserer Kinder.“
III. Straftatbestände zum Menschenhandel und zur Prostitution grundlegend reformieren
Die Justizministerinnen und -minister setzen sich auf Antrag von Bayern und Niedersachsen für eine grundlegende Reform der Straftatbestände zum Menschenhandel, zur Zwangsprostitution und zur Zwangsarbeit ein. Zuletzt waren die Vorschriften 2016 reformiert worden. Die beabsichtigte Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels ist damit aber nicht erreicht worden – wie auch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen festgestellt hat. Mit Beschluss der Ministerinnen und Minister wurde der Bund aufgefordert, bestehende Schutzlücken zu schließen und die derzeitigen Regelungen klarer und übersichtlicher zu gestalten. Justizminister Eisenreich: „Wir wollen und müssen Frauen und Mädchen effektiv vor Menschenhändlern schützen. Der Bund ist gefordert, die bestehenden Hürden und Schutzlücken im Strafrecht so schnell wie möglich zu beseitigen.“
IV. Antisemitismus-Beauftragte bei den (General-)Staatsanwaltschaften in den Bundesländern
Im Jahr 2021 gab es 3027 antisemitisch motivierte Straftaten in Deutschland – ein neuer Höchststand. Die Konferenz setzt sich auf Initiative Bayerns dafür ein, die Strukturen und die Vernetzung der Länderjustiz im Kampf gegen Antisemitismus weiter zu verstärken. Berlin ist dem Antrag als Mitantragssteller beigetreten. Zum Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland sollen die Länder prüfen, Antisemitismus-Beauftragte bei den (General-)Staatsanwaltschaften oder vergleichbaren Strukturen zu etablieren. Bayern hat bereits seit 2018 Antisemitismusbeauftragte bei den drei Generalstaatsanwaltschaften in Bamberg, München und Nürnberg sowie seit dem vergangenen einen Zentralen Antisemitismusbeauftragten für die bayerische Justiz. Dieser koordiniert hauptamtlich und übergeordnet für ganz Bayern das besondere Engagement der bayerischen Justiz bei der Bekämpfung antisemitischer Straftaten.
Minister Eisenreich: „Hierdurch konnte beispielsweise konsequent gegen die Verwendung von Judensternen mit Aufschriften wie ‚Ungeimpft‘ bei Corona-Demonstrationen vorgegangen werden. Wir in Deutschland haben eine besondere Verantwortung für Jüdinnen und Juden. Deshalb ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alles für ihren Schutz in Deutschland zu tun.“
V. Zusammenarbeit mit dem Nationalen Cyber-Abwehrzentrum verstetigen
Lahmgelegte Stadtverwaltungen, verschlüsselte Firmennetzwerke, Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Cyber-Spionage aus Russland: Immer mehr Cyberkriminelle bedrohen Menschen und Unternehmen. Der Schaden liegt allein bei deutschen Firmen bei 220 Milliarden Euro im Jahr. Eisenreich: „Hacker-Angriffe können auch zu erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit, zu Versorgungsengpässen oder anderen schwerwiegenden Folgen führen. Im Extremfall – etwa beim Ausfall von Beatmungsgeräten – können sie sogar Menschenleben fordern. Gerade bei der Bekämpfung von Cybercrime sind effektive Strukturen und Kooperationen zwischen den befassten Stellen von größter Bedeutung. Deshalb beschloss die Konferenz bei entsprechendem Einverständnis der beteiligten Behörden, die Zusammenarbeit der Länderstaatsanwaltschaften mit dem Nationalen Cyber-Abwehrzentrum auf Initiative Bayerns und Nordrhein-Westfalens zu verstetigen.“ Die Spezialisten der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) und der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC) sind bereits seit Juni vergangenen Jahres im Cyber-AZ als Vertreter der Länder-Staatsanwaltschaften tätig. Nach der aus Sicht der Justizbehörden erfolgreichen Pilotphase soll die Beteiligung der beiden Länder zunächst bis Ende 2025 verlängert werden.
VI. Strafbarkeit von Plattformbetreibern
Hass und Hetze haben im Internet ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Deshalb fordert die Konferenz auf Initiative Bayerns, auch die Betreiber von Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen. Inwieweit sich die Betreiber von sozialen Netzwerken selbst strafbar machen, wenn sie von strafbaren Inhalten Kenntnis haben und diese nicht zeitnah löschen, ist bislang rechtlich nicht geklärt. Eisenreich: „Bußgelder können die Tech-Giganten häufig aus der Portokasse zahlen. Wer Todesdrohungen oder Terror-Ankündigungen trotz Kenntnis nicht zeitnah löscht oder sperrt, muss strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten haben. Es geht nicht, dass Gewinne privatisiert, aber Probleme für Demokratie und Rechtsstaat sozialisiert werden. Wir fordern den Bundesjustizminister nun auf, sich dieser wichtigen Thematik anzunehmen und strafrechtliche Handlungsmöglichkeiten zu prüfen.“
VII. Rückschritte des Digital Services Act gegenüber dem deutschen NetzDG kompensieren
Das NetzDG wird weitgehend vom Digital Services Act (DSA), dem europäischen Regelwerk für Internet-Plattformen, nach Zustimmung von Europäischem Rat und Parlament abgelöst werden. Die Justizministerinnen und -minister fordern den Bund auf zu prüfen, mit welchen Maßnahmen Rückschritte gegenüber dem NetzDG kompensiert werden können. Eisenreich: „Der DSA kann im weltweiten Kampf gegen Hass und Hetze helfen. Er enthält wichtige Fortschritte. Aber: Er führt in seiner jetzigen Fassung an einigen Stellen zu klaren Rückschritten gegenüber dem Schutzniveau des deutschen NetzDG – vor allem beim schnellen Löschen und Melden strafbarer Inhalte. Das ist nicht akzeptabel. Wir fordern den Bund auf zu prüfen, mit welchen Maßnahmen Rückschritte gegenüber dem NetzDG kompensiert werden können.“
VIII. Rechtspolitisches Reformpaket zur Entlastung der Gerichte
Fluggast- und Dieselklagen, Beitragserhöhungen von Krankenkassen oder Widerrufe von Darlehensverträgen: Massenverfahren und Sammelklagen belasten zunehmend die Zivilgerichte. Die Konferenz fordert den Bund auf, rechtspolitisch aktiv zu werden. Eisenreich: „Unsere wertvollen Justizressourcen dürfen nicht verschwendet werden. Wir haben – wie auch einige andere Bundesländer – eine Praktiker-Arbeitsgruppe eingesetzt, die organisatorische Maßnahmen vorgeschlagen hat. Wir haben Personal aufgestockt. Wir treiben die Digitalisierung voran und testen auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Das alles reicht aber nicht. Um die Massenverfahren zu bewältigen, ist ein umfassendes, rechtspolitisches Reformpaket des Bundes notwendig. Dabei dürfen Geschädigte selbstverständlich nicht davon abgehalten werden, ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen.“ Vorgeschlagen werden dem Bund u. a. die Schaffung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum BGH, eine Konzentration der Beweisaufnahme, Strukturvorgaben für Schriftsätze, eine effektive Regelung der Verbandsklage und Änderungen im Gebührenrecht.
IX. Vorsorgedokumente im Zentralen Vorsorgeregister digital zugänglich machen
Die Justizministerinnen und -minister setzen sich auf Antrag Bayerns und Nordrhein-Westfalens dafür ein, dass der Wille eines Patienten den Arzt so schnell wie möglich erreichen soll. Deshalb fordert die Konferenz, alle Vorsorgedokumente (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung) im Zentralen Vorsorgeregister (ZVR) digital zugänglich zu machen, wenn der Aussteller dies wünscht. Eisenreich: „Es wichtig, die Vorteile der Digitalisierung auch für die private Vorsorge zu nutzen. Vom vorgeschlagenen Verfahren profitieren alle Beteiligten. Es stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Patienten. Angehörigen fällt es leichter, eine Entscheidung zu treffen. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erfahren schneller von den Wünschen ihrer Patienten und bekommen damit zugleich mehr Rechtssicherheit. Den Betreuungsgerichten wird die Entscheidung erleichtert, ob ein bzw. wer als Betreuer zu bestellen ist. Vor Manipulationen Dritter wären die Dokumente geschützt und der Aussteller könnte sie gleichwohl jederzeit leicht ändern oder widerrufen.“
X. Update für das Bürgerliche Gesetzbuch für den Zivilprozess der Zukunft
Die Justizministerinnen und -minister fordern, den Zivilprozess fit für die Zukunft zu machen und schlagen auf Vorschlag Bayerns ein überfälliges Update im Hinblick auf die Schriftform im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) vor. Nach geltendem Recht können Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei den Gerichten mit einfacher Signatur eingereicht werden. Beispielsweise bei Kündigungen in anwaltlichen Schriftsätzen genügt dies dem – hiervon zu unterscheidenden – Erfordernis im BGB für die elektronische Form aber nicht. Eisenreich: „Wer seine Klage analog einreicht, kann beispielsweise zugleich in seiner Klage die Kündigung des Mietverhältnisses erklären. Bei einer digitalen Klageerhebung ist das derzeit nicht ohne weiteres möglich. Das ist ein Wertungswiderspruch. Das Gesetz benötigt an dieser Stelle ein Update. Bayern schlägt deshalb vor, eine neue Kategorie der ‚Schriftsatzform‘ einzuführen.“
Eisenreich abschließend: „Die Konferenz hat sich erneut als rechtspolitische Ideenschmiede erwiesen. Bayern hat viele wichtige Initiativen auf den Weg gebracht. Ich freue mich, dass unsere Vorschläge überzeugen konnten. Jetzt ist Berlin gefordert.“
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